Der aktuelle Bericht der UN-Welternährungsorganisation zeigt, dass etwa 733 Millionen Menschen weltweit unter Hunger leiden, was einen stillen Zustand auf alarmierend hohem Niveau darstellt. Besonders dramatisch ist die Lage im Sudan, wo über 25 Millionen Menschen von Hunger bedroht sind. Auch in Gaza ist die Situation äußerst kritisch. Doch welche Auswirkungen hat Hunger konkret auf die Betroffenen, und welche Konsequenzen haben Kürzungen bei der humanitären Hilfe? Ophélie Hemonin, eine Expertin für Hunger bei CARE, erklärt die Zusammenhänge. CARE ist ein Partner von „Aktion Deutschland Hilft“.
Wie wirken sich längere Phasen des Hungerns auf den menschlichen Körper aus?
Laut Ophélie Hemonin von CARE sind die Auswirkungen verheerend. Die Menschen, die längere Zeit hungern, sind gezwungen, unkonventionelle Nahrungsmittel wie Blätter, Wurzeln, Insekten oder sogar Tierfutter zu konsumieren, um zu überleben. Sie haben oft bereits alles verkauft, was sie besitzen, und verfügen über keine weiteren Reserven mehr.
Hunger löst drastische physiologische Reaktionen aus: Der Blutzuckerspiegel sinkt, und der Körper versucht, diesen aufrechtzuerhalten, indem er zunächst Glykogen abbaut, ein körpereigenes Kohlenhydrat. Nach 24 Stunden sind diese Vorräte erschöpft, und der Körper beginnt, Fettreserven abzubauen. Schließlich wird auch Eiweiß abgebaut. Dies führt zu einem Verlust der Muskelmasse und Schrumpfung der Organe, darunter auch des Herzens. Blutdruck, Herzfrequenz und Körpertemperatur sinken, und aufgrund des Fehlens wichtiger Eiweiße, die im Blut Wasser binden, bilden sich besonders am Bauch Wassereinlagerungen. Der Bauch schwillt deutlich an.
Diese Prozesse führen innerhalb von etwa drei Wochen ohne Nahrung zum Tod. Frauen können aufgrund ihrer größeren Fettreserven etwas länger durchhalten als Männer.
Sind die durch Hunger verursachten Schäden reversibel?
Laut Hemonin sind die Schäden nur teilweise umkehrbar. Der Grad und die Geschwindigkeit der Schädigung hängen von verschiedenen Faktoren ab, darunter Alter, Hygiene, Armut und der gesundheitliche Zustand vor dem Hungergefühl. Mit spezieller therapeutischer Nahrung können viele Patienten unterstützt werden, aber in einigen Fällen kommt diese Hilfe zu spät.
Welche langfristigen Auswirkungen hat Hunger auf Kinder?
Hunger hinterlässt bei Kindern dauerhafte Spuren. Sie haben nicht die gleichen Entwicklungschancen wie gut ernährte Kinder. Auch wenn sie äußerlich unauffällig erscheinen, wachsen sie langsamer, ihr Gehirn kann dauerhaft geschädigt sein, und sie haben Schwierigkeiten beim Lernen und leiden oft unter Konzentrationsstörungen.
In einem Gesundheitszentrum für Kinder in Nord-Benin wurde deutlich, dass ein Kindstod durch Lungenentzündung oder Durchfall oft tatsächlich auf Hunger zurückzuführen ist. Krankheiten, die normalerweise gut behandelbar wären, können bei einem durch Hunger geschwächten Immunsystem tödlich enden.
Sind Mädchen und Frauen besonders betroffen?
Ja, das ist der Fall. Ein Vater in Afrika erklärte, dass ihm das Überleben seiner Viehherde wichtiger sei als das seiner Tochter. Wenn unter- oder mangelernährte Mädchen früh verheiratet werden, weil ihre Familien sie nicht mehr ernähren können, werden die Probleme oft an die nächste Generation weitergegeben. Diese Mädchen sind körperlich oft nicht für eine Schwangerschaft bereit, und unter- oder mangelernährte Schwangere sind unzureichend mit Nährstoffen versorgt. Die Babys kommen oft untergewichtig zur Welt und sind anfällig für frühzeitigen Tod, während die Mütter nicht genug Milch haben, um ihre Kinder zu stillen.
Welche Auswirkungen hat die chronische Unterfinanzierung der humanitären Hilfe auf die hungernden Menschen?
Die Integrated Food Security Phase Classification (IPC) unterscheidet fünf Stufen einer Hungerkrise, wobei Stufe vier als humanitärer Notfall gilt. Die Unterfinanzierung führt dazu, dass die Hilfe zunehmend auf akute, lebensrettende Maßnahmen in den am schwersten betroffenen Regionen konzentriert wird, anstatt auf präventive Maßnahmen. Die fehlende politische Entschlossenheit im Kampf gegen den Hunger wird als frustrierend empfunden, insbesondere angesichts der großen Diskrepanz zwischen der Notlage und den verfügbaren finanziellen Mitteln, die in diesem Jahr besonders stark ausgeprägt ist.
9Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung von Aktion Deutschland Hilft e.V./ Veröffentlicht am 25.07.2024